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halten: Trösten ist unverzichtbar
                                    BuchTIPP










                     Vom Oje zum Aha!
                                                           (Hanne Baar)







        Das Buch von 2009 im Hymnus-        Im Jahr 1996 war ich zu meinem       felkreuz, hatte ich‘s. Im Kern meiner
        Verlag motiviert, herauszufinden,   Entsetzen an Brustkrebs erkrankt     Niedergeschlagenheit nistete der Ver-
        worauf sich innere Unzufriedenheit   und tat gehorsam, was mir die Ärzte   dacht: „Gott pfeift auf mich.“
        bezieht, um so bewusst und in Frei-  rieten. Das war vor allem eine Ope-  Gleichzeitig erschrocken und froh,
        heit einwilligen zu können in das,   ration. Gleichzeitig blieb ich dabei,   den genauen Schmerzpunkt gefun-
        was sich nicht ändern lässt. Die aktu-  als  Ursache  für  den  körperlichen   den zu haben, überlegte ich: Kam es
        elle Unzufriedenheit, wenn man in   Knoten in der Brust seelische zu ver-  auch in einem solchen Fall darauf an,
        sie hineinleuchtet, hilft chronisches   dächtigen. Schließlich bekam ich das   zu kapitulieren, mein Herz zu einem
        Aufbegehren im eigenen Herzen zu    Übel, das ich über Jahre geschluckt   „Selbst dann“ zu bewegen, zu einem
        verstehen und aufzuatmen.           hatte und das untergründlich an mir   gottergebenen „Alles, auch das“?
                                            nagte, zu fassen und wurde es in ei-  Was ich bisher in Predigten über
        „Vom Oje zum Aha!“  verfolgt auf    nem gründlichen Vergebungsprozess    Glauben gehört hatte, sprach dem
        tiefenpsychologischer Ebene den     los. Danach ging es mir lange gut.   entgegen.
        Gedanken: "Alles, nur DAS nicht -   Ich dankte Gott und hielt mich für
        WAS nicht?" Psychologisches und     geheilt.                             Im  gleichzeitigen  Fragen  vor  Gott
        biblisches Denken werden als die    Als dann jedoch erneut ein Rezidiv   und im Achten auf das, was mein
        zwei Seiten derselben Medaille sicht-  auftrat und zwei Jahre später ein   Herz wollte, fiel mir eine Schriftstelle
        bar.                                zweites  (alles  immer  an  derselben   ein, ein Gebet König Davids – auch
                                            Stelle, an der ich dreimal operiert   unter Lebensgefahr gesprochen. Es
                                            und zweimal bestrahlt worden bin),   lautet: „Finde ich Gnade vor dem
        Hanne Baar stellt einen Fragebogen   entstand in meinen Gefühlen eine    Herrn, so wird er mich retten. Spricht
        zur Selbsterkundung vor, der ihr    Niedergeschlagenheit, der ich nicht   er aber: Ich habe keine Lust zu dir! –
        selbst durch leidvolle Erkrankungen   Herr werden konnte.                Siehe, hier bin ich; er tue mit mir, wie
        geholfen hat. Hier ein Ausschnitt   Meine Söhne fragten: wo hast du      es ihm gefällt“ (2. Sam. 15,25f).
        aus Teil III: Der Wendepunkt, S.74  Angst? Vor dem Sterben oder davor,
                                            tot zu sein?                         Als ich mich mit diesem Gebet Da-
                                            Ich überlegte und kam zu dem Re-     vids  wortlos eins  machte,  platzte
                                            sultat: vor beidem eigentlich nicht.   mein Verzweiflungs-Knoten wie eine
                                            Daniel mutmaßte: oder hast du        Seifenblase. Statt  Todesangst und
                                            Angst vor den Schmerzen?             Niedergeschlagenheit war da jetzt
                                            Nein, auch das war es nicht. – Was   Freude, Aufatmen und das völlig
                                            war es dann? – Ich wusste es nicht,   sichere Wissen, dass Gott nicht auf
                                            wollte es aber wissen und fuhr, weil   mich pfeift.
                                            ich mir für dieses Thema unbedingt   Wieder dieses Geschenk, dieses Ge-
                                            Zeit nehmen wollte, ein paar Tage in   heimnis: Der Moment der Kapitula-
                                            die Berge.                           tion brachte den Wendepunkt in den
                                            Auf steilen, einsamen Wegen gab ich   Gefühlen. – Und auch von Krebs ist
                                            dort meinen Gefühlen hemmungs-       seither nicht mehr die Rede.
                                            los  Ausdruck.  Und schließlich,  auf
                                            einem steinigen Gratweg, am Weg-
                                            rand Silberdisteln, vor mir das Gip-



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